Die vorliegende Arbeit der Dipl. Psychologin Doreen Röseler aus den Jahren 1999/2000 ist der zweite Teil der »Evaluation der Krisenintervention der
SchreiBabyAmbulanz im Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum der ufa-fabrik in Berlin-Tempelhof«. Im ersten Teil dieser Studie, zugleich Diplomarbeit der Autoren Jule Dräger und Christian Werner im Fach Psychologie, wurde der Therapieverlauf von sechs Müttern in der SchreiBabyberatung unmittelbar begleitet. Der zweite Teil nun legt seinen Schwerpunkt auf die Beurteilung der Krisenintervention durch die Bewertung der Betroffenen selbst, die nach einem Zufallsprinzip ausgewählt und in Einzelinterviews befragt wurden.
»Der untersuchte Zeitraum beinhaltet nicht nur die Krisenintervention, sondern auch das Erleben von Schwangerschaft und Geburt, die
Krisenentwicklung sowie die Zeitspanne vom Interventionsende bis zum Interviewtermin.« (S. 8)
Den Hauptinhalt der einleitenden Kapitel bildet die Auswertung eines Experteninterviews, in dem die Projektleiterin der SchreiBabyAmbulanz und
Körpertherapeutin Paula Diederichs ihre Arbeit anschaulich schildert.
Klar, kurz und bündig folgen dem Vorwort eine Zusammenfassung der wesentlichen Daten und Informationen zur Entstehung und Entwicklung der
SchreibBabyAmbulanz, eine Biographie von Paula Diederichs mit anschließendem Exkurs in die Körperpsychotherapie und einige Erläuterungen zu Eva Reich als Begründerin der sanften Bioenergetik und
Entwicklerin der Schmetterlingsmassage, einer zarten Massagetechnik für Babys.
Angenehm leicht zu lesen und auch für Nichtstudierte verständlich beschrieben sind die folgenden Abschnitte: Was ist eine SchreiBabyAmbulanz, was
ist das SchreiBabySyndrom, welche Ursachen kann es haben und welche Folgen für die Betroffenen sowie das Kind. Wie verläuft die Arbeit in der SchreiBabyAmbulanz, welche theoretischen Hintergründe und
therapeutischen Modelle werden berücksichtigt, wie verläuft die Diagnostik bis hin zur Durchführung der Interventionsarbeit und den möglichen Zielen. Nicht minder wichtig die Bedeutung präventiver
Aspekte sowie eine abschließende Reflexion der Arbeit im Hinblick auf Lob, Kritik und Verbesserungsvorschläge.
Die Betroffenen-Interviews orientieren sich an einer wohl dosierten Auswahl von Themenkomplexen wie z. B. das Erleben von Schwangerschaft und
Geburt, emotionales Befinden, soziale Beziehungen, Erfahrungen mit Hilfsangeboten, eigene Ziele vor Interventionsbeginn und Empfehlungen an Betroffene. (S. 23)
Die Fallbeschreibungen sind wiederum gegliedert in die Zeit vor Interventionsbeginn, das Erleben während der Krisenintervention und anschließende
Erfahrungen, ergänzt durch kurze Anmerkungen über Beginn der Schreiproblematik, des Krisenerlebens, der Kontaktaufnahme mit der Ambulanz, Anzahl der Interventionseinheiten und Zeit zwischen
Behandlungsende und Interviewtermin.
Mit Hilfe von transkribierten Zitaten und erläuternden sowie zusammenfassenden Kommentaren werden die Frauen und ihre Fälle nacheinander
vorgestellt.
Einzelne Fakten und Aussagen wurden diesen Fallbeschreibungen entnommen und anhand eines Kategoriensystems zum Vergleich aufgelistet. Eine
Gegenüberstellung der Ergebnisse bildet die schriftlich ausgearbeitete Darstellung mit abschließender Diskussion und einer Zusammenfassung sowie Gesamteinschätzung der vorgestellten Krisenintervention.
Im Vergleich zu groß angelegten Studien könnte die Auswahl und Betrachtung von nur sechs Fallbeispielen aus wissenschaftlicher Sicht in seiner
Signifikanz leicht unterschätzt werden. Wer jedoch Erfahrungen im Umgang mit von der Schreibabyproblematik betroffenen Müttern hat, wird schnell erkennen, dass es sich hier durchaus um aussagekräftige
Ergebnisse handelt, die auf eine Vielzahl ähnlicher Fälle zutreffen. Ohnmachts- und Versagensgefühle von Seiten der Mütter, mangelnde Hilfsangebote oder irreführende »Ratschläge« durch Außenstehende im
Freundeskreis, Uninformiertheit von Kinderärzten und Hebammen, psychischer und körperlicher Stress bis hin zur Schwelle aggressiver Phantasien oder gar Ausschreitungen gegenüber dem schreienden Baby
–, in kaum einem Gespräch, das ich selbst führte, blieb von diesen neben weiteren in der Studie erwähnten Aspekten etwas unerwähnt. Auch das Misstrauen gegenüber Hilfsangeboten, die sich
ausdrücklich den Schrei- und Schlafproblemen von Babys und Kleinkindern widmen, ist mir geläufig. Nach erfolglosen Behandlungsversuchen bei Kinderärzten, aber auch psychologisch orientierten
Beratungsstellen, scheint die Hoffnung auf wirksame Therapien extrem gering. Hinzu kommt die mangelnde Aufklärung der Öffentlichkeit über die bereits vorhandenen SchreiBabyAmbulanzen.
In allen sechs untersuchten Fällen fanden die Mütter und ihre Kinder wirksame Hilfe in der SchreiBabyAmbulanz durch die sehr persönliche,
einfühlsame und zugleich kompetente Krisenbegleitung von Paula Diederichs. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass die Therapeutin sich nicht auf eine Behandlungsmethode fixiert, sondern aufgeschlossen
den Bedürfnissen und Problemen der Mütter Raum gibt, ein freundschaftliches Klima der Geborgenheit schafft, in dem sich die unter extremem Druck befindlichen Frauen und Kinder zunächst fallen lassen
können. Aber auch konkrete Atem- und Massagetechniken werden hier vermittelt, verbunden mit klärenden Gesprächen über familiäre Beziehungen, Partnerschaft und seelische Schwächen wie z. B. mangelnde
Fähigkeit zur Grenzsetzung und Eigenpflege wie Durchsetzungsfähigkeit der Mutter als Frau.
Die Persönlichkeit und Ausstrahlung der Therapeutin wird als von grundlegender Bedeutung geschildert. Demnach reicht es nicht, eine oder mehrere
Techniken zu erlernen, um sie einem Schema gemäß auf die Hilfesuchenden zu übertragen. Vielmehr geht es um die Einkehr, Besinnung und das selbstbewusste Auftreten der ganzen Person. Die Therapeutin
stärkt die aus den Fugen geratene Mutter-Kind-Bindung durch ihre mütterlich fürsorgliche Begleitung, übernimmt phasenweise die »Führung« und gewährt der gestressten Mutter die so dringend benötigten
Atempausen, um in vielen behutsamen Schritten die Verantwortung für sich und das Kind wieder zu übernehmen und sich aus der therapeutischen Beziehung zu lösen. In jedem der sechs beschriebenen Fälle
führte die Krisenbegleitung zum Erfolg.
Wer diese schriftliche Arbeit aufmerksam gelesen hat, wird nicht umhin kommen, die SchreiBabyAmbulanz als in jeder Hinsicht förderungs- und vor
allem ausbauwürdig zu bewerten. Ein vorbildliches Angebot wurde hier mit Hilfe einer kompetenten Untersuchung allgemein verständlich dargestellt. An wirkungsvollen Beratungs- und Therapiestrategien
mangelt es demnach nicht. Wohl aber an engagierten Persönlichkeiten, ihrer finanziellen Unterstützung und öffentlichen Bekanntmachung des dringlichen Bedarfs von Seiten einer Vielzahl betroffener
Familien.
Jutta Riedel-Henck, 13.12.2003
Bezugsadresse:
NUSZ in der ufa-fabrik Frau Borodina Viktoriastr. 13-18
12105 Berlin Tel: 0 30 / 75 50 31 22 E-Mail: treffpunkt@nusz.de
Weiterführende Links
Schreibabyambulanz
Rezension »Unser Baby schreit so viel« von Paula Diederichs und Vera Olbricht
NUSZ – Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum in der ufafabrik
Die dieser Evaluation zu Grunde liegende Diplomarbeit von Jule Dräger
und Christian Werner ist über den folgenden Link käuflich zu erwerben: http://www.wissen24.de/vorschau/26148.html
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© 2003 Jutta Riedel-Henck
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