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Cordula Neuhaus
Das hyperaktive Kind und seine Probleme
240 Seiten, kartoniert € 12,90
Urania Verlag, Berlin 11., völlig überarbeitete Neuaufl, März 2002 ISBN 3-332-00872-2
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Auf dem Gebiet der Hyperaktivität, heute vor allem Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS genannt, wirkt die Autorin Cordula Neuhaus ausgesprochen bewandert.
Entsprechend reichhaltig bestückt ist das Buch mit Informationen über die Geschichte und Forschung rund um ADHS, Fallbeispielen vom Kleinkind bis zum Jugendlichen, eingehend auf die Probleme der Kinder,
aber auch ihrer Eltern und Lehrer, Diagnose-Verfahren in der ärztlichen Praxis bis hin zu Behandlungsmöglichkeiten durch verschiedene Therapieformen.
Inhaltlich bekommt der Leser einen intensiven Eindruck und Überblick in die Fülle und Vielfalt der Gesamtproblematik, deren besondere Herausforderung darin liegt, dass sich keine Patentrezepte zur raschen
Lösung der Unruhe und Aufmerksamkeitsstörung anbieten.
Vielmehr ginge es darum, das Kind zu nehmen, wie es sei, und ihm durch kontrollierte pädagogische Maßnahmen im Alltag Orientierungshilfen zu schaffen, klare und eindeutige Regeln in Rücksprache mit dem
Kind und anderen Beteiligten zu entwerfen und wachsam zu bleiben, kurz: ein Leben im Hier und Jetzt zu führen, um zugleich eine Struktur zu entwickeln, die das Chaos in Form bringt und die Zeit
überschaubar gestaltet.
Vorurteile, das Kind sei einfach schlecht erzogen und die Eltern unfähig oder gar zu nachlässig, widerlegt die Autorin. Mahnende Worte erhebt Cordula Neuhaus gegen die im Zusammenhang mit Hyperaktivität
propagierte „Festhaltetherapie“, die zu einer Ideologie geworden sei, um die Kinder wie ihre Eltern regelrecht zu vergewaltigen. Auch Illusionen, das Syndrom mit Naturheilmitteln oder Diäten
erfolgreich behandeln zu können, werden dem Leser genommen. Stattdessen sei die wohl dosierte und stets neu zu prüfende Gabe von Medikamenten in manchen Fällen sinnvoll und hilfreich.
Wie immer gilt: Wer selbst nicht betroffen ist, hat leicht Reden und Urteilen. Umso wichtiger, dass Eltern sich nicht blind von Meinungen manipulieren lassen, sondern darauf pochen, ihren eigenen Weg zu
finden, um sich selbstständig zu informieren, fortzubilden und das Gespräch zu suchen: mit dem Kind, anderen Betroffenen, Ärzten und Therapeuten.
Auf diesem Weg ist das Buch ein sinnvoller Einstieg in die Materie. (Anm. vom 4.10.03: Nach eigener Fortbildung würde ich heute das Buch »Neues
vom Zappelphilipp« als Einstiegswerk empfehlen.) Der Lesefluss fiel mir allerdings schwer, die Kapitel wirken in sich zerrissen und verzettelt, ähnlich rasch wechselnder Szenenfolgen moderner Fernsehfilme, die es dem einfachen Menschen verleiden, sich in Ruhe auf den Inhalt einzuschwingen.
Gerade bei der Beschreibung verschiedener Therapiemöglichkeiten hätte ich mir konkrete Fallbeispiele gewünscht, stattdessen überwiegen darin allgemein gehaltene und für Laien kaum verständliche Begriffe,
die für betroffene Eltern womöglich fremd oder gar abschreckend wirken, statt Schwellenängste zu lösen und Einsichten in die Praxis therapeutischer Arbeit zu eröffnen.
Zu kurz kommt in dem Buch die Bedeutung der Eltern-Selbsthilfe, damit ihre Kompetenz als Erzieher ihrer (hyperaktiven) Kinder. So einfühlsam die Autorin auch die Probleme von Kindern, Eltern und
Lehrern zu berücksichtigen vermag, hinterlässt es im Großen und Ganzen das Bild eines nach wie vor zu großen Gefälles zwischen Helfern und Betroffenen.
Womöglich eignet sich dieser Ratgeber mehr für Außenstehende, die beruflich mit dem „ADHS“-Kind konfrontierten Nicht-Betroffenen wie Lehrer, Ärzte und Therapeuten. Eltern, aber auch ältere Kinder
bedürfen aus meiner Sicht einer persönlicheren Erzählweise, um sich mit dem Dargestellten zu identifizieren und seelisch aufgefangen zu fühlen. Bleibt also zu wünschen, dass noch manch ein Betroffener
sein eigenes Werk zum Thema verfasst und auf diesem Weg als kompetentester Experte an die Öffentlichkeit tritt.
Jutta Riedel-Henck, 8. Februar 2003
siehe auch: ADS-Bücher kritisch betrachtet
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Felix Dietz
Wenn ich doch nur aufmerksam sein könnte! Ein hyperaktiver Jugendlicher berichtet
142 Seiten, kartoniert Elternselbsthilfe
ADS/Hyperaktivität Frankfurt/Main, 1999 € 7,00 + Porto
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Der Begriff »hyperaktiv« scheint heute in aller Munde – und doch wissen nur wenige, welches Leben, welche Erfahrung, welche möglichen Ursachen sich dahinter verbergen.
An aufklärenden Angeboten mangelt es eigentlich nicht. Vielmehr schreckt alleine der Umstand ab, dass Hyperaktivität als Krankheit gehandelt wird, die durch bestimmte verhaltenstherapeutische Maßnahmen
oder eine »gute« Erziehung in den Griff zu bekommen sei. »Wenn du nur willst, dann kannst du auch!«, bekommen Menschen, die aus dem gewohnten Rahmen fallen, häufig zu hören, seien sie nun Kind oder
Erwachsener. Die Anpassung an die gegebenen Umstände steht bei alledem im Vordergrund. Kein Wunder also, dass Menschen immer dann auffallen, wenn sie in der Gruppe, in Kindergarten oder Schule, am
Arbeitsplatz ... ihre Eigenart nicht verbergen können.
Das Buch von Felix Dietz ist ein wahrer Lichtblick für alle, die aus kranken Vorstellungen aussteigen möchten, um der Wirklichkeit Türen und Fenster zu öffnen. Ich habe mich in vielen seiner
Beschreibungen wiedergefunden, obwohl ich keinen entsprechenden Stempel in meinem Gesicht trage. Auch ich kann mich schwer konzentrieren, wenn mich etwas nicht wirklich zutiefst anspricht und
interessiert, auch ich kann nicht lange warten, wenn ich Ungerechtigkeit um mich herum wahrnehme, auch ich sage manch einem zu (?) schnell die Meinung und kann nicht lügen, ich schweife gerne von Themen
ab, die meinem inneren Seelenleben fern sind, die mich nicht berühren und bekam als Kind und (!) Erwachsene zu hören, ich könnte ja, wenn ich nur wollte.
ADS, die Abkürzung für AufmerksamkeitsDefizitSyndrom, ist keine Krankheit, sondern eine Art Sonderfall, eine sonderbare Voraussetzung, die es dem »ADSler« durch eine so genannte Stoffwechselstörung (Anm. vom 4.10.03: das Vorhandensein einer solchen Stoffwechselstörung wird zunehmend in Frage gestellt, siehe Rezension von »Neues vom Zappelphilipp«) besonders
schwer macht, sich den Anforderungen seiner Umgebung anzupassen. Er ist kein besonders schlecht erzogenes Kind, kein besonders rüpelhafter Kerl, kein besonders aggressiver Verhaltensgestörter, sondern
ein besonders sensibilisiertes Wesen, das auf die Ungereimtheiten seiner Umwelt hypersensibel reagiert, um gewissermaßen als Alarmglocke oder Seismograph Schwingungen zu orten, die in all den
zugemauerten verhornten Ritterburgen keinen Zutritt mehr erhalten und stattdessen als unwahr, abwesend oder einfach verrückt und verachtenswert kriminalisiert werden.
Der Hinweis von Felix Dietz, dass »auch« berühmte Persönlichkeiten unter ADS leiden (und noch mehr unter ihrer Sonderstellung), kann gar nicht genug in den Vordergrund gestellt werden. Denn gerade
Künstler, die zu ihren Lebzeiten verachtet und ausgestoßen wurden, sind die Alarmglocken und Seismographen unserer (zerstörten) Welt. Ob sie nun eine Stoffwechselstörung nachweisen können oder nicht, sie
beschreiben den Zustand der Welt ohne Umschweife und falsche Untertöne, die Wahrheit in all ihren schönen bis schrecklichen Facetten, um immer wieder dafür angeklagt und als Sündenbock, als Ventil einer
Gemeinschaft missbraucht zu werden. Jeder Mensch, ob mit oder ohne ADS, ist ein kleines verletzliches Wesen und darf nicht für die Kaputtheit der gesamten Menschheit an den Pranger gestellt werden!
Vielmehr geht es darum, dem Menschen als Mensch zu begegnen, um sich im direkten Mit- und Gegeneinander kennen zu lernen, zu reiben, wenn es sein muss, und alte, krank machende Bilder in Frage zu stellen,
dem Einzelnen die Chance einzuräumen, sich zu äußern und erklären.
In diesem Sinne wünsche ich dem Buch von Felix Dietz viele offenherzige Leser, und noch mehr wünsche ich den Lesern, sie mögen sich dieses Buches annehmen, in dem endlich einmal ein Kind selbst zu Wort
kommt, um zu beweisen, dass Kinder keine Idioten sind, sondern durch und durch verständige, einsichtige, freundliche und lernfähige Menschen: wenn sie nur gelassen werden! So geht es vielleicht weniger
darum, sich um Förderer zu bemühen als vielmehr um die Aufklärung der Verhinderer, die dem Einzelnen, mit welcher »Störung« auch immer, die Luft zum Atmen nehmen und zugleich der Möglichkeit berauben,
sich selbst zu finden. Felix Dietz hat sich selbst gefunden: Eine Rarität, der viele Erwachsene ein Leben lang hinterherhecheln ...
Jutta Riedel-Henck, Februar 2000
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Gerald Hüther / Helmut Bonney
Neues vom Zappelphilipp ADS: verstehen, vorbeugen und behandeln
154 Seiten, kartoniert € 14,90
Walter, Düsseldorf u. Zürich 2. Aufl. 2002 ISBN 3-530-40131-5
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ADS, ADHS, Hyperkinetisches Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizitstörung, MCD, minimale cerebrale Dysfunktion, Stoffwechselstörung, Dopamindefizit,
Ritalin ja oder nein, auf keinen Fall oder doch um jeden Preis … Drogenmissbrauch, Verhaltensstörung … Störung, Störung, Störung … – was muss das für eine schreckliche Krankheit
sein? Oder gar eine gefährliche Epidemie des 21. Jahrhunderts?
Wer bereits als unbeteiligter Leser die kurz gefassten Meldungen in Tageszeitungen und Illustrierten verfolgt, im Buchladen einen Blick in das ein
und andere Werk zum Thema »Hyperaktivität« wagt, wird am Ende selbst unter einem Verwirrtheits-Syndrom leiden, geneigt, den beängstigenden Darstellungen schulterzuckend zu erliegen und beim nächsten
Gespräch unter Eltern kritiklos einzustimmen, wenn es heißt: Das Kind braucht Ritalin, es leidet unter einer angeborenen Stoffwechselkrankheit.
Zwischen Betroffenen, d. h. vor allem Eltern unruhiger Kinder, herrscht nicht selten ein regelrechter Meinungskrieg, in dem sich zwei Fronten
gegenseitig zu überzeugen suchen: Pro oder Contra Ritalin. Vermeintlich medizinisch fundierte Fakten sind rasch herbeigeholt, Autoren von Ratgeberbüchern werden zitiert wie eine Bibel, Erfahrungsberichte
über die Wirkung des umstrittenen Medikamentes scheinen diese sogleich zu bestätigen: Ja, Ritalin hilft, das Problem ist erkannt, die Gefahr gebannt.
Ist sie das wirklich? So fragen die anderen, und nur wenige machen sich auf den Weg, die Wurzeln dieser heftig geführten Debatten zu ergründen und
dem Problem wahrhaft umfassend nachzuspüren.
Einen Meilenstein auf diesem Weg bietet das Buch »Neues vom Zappelphilipp«, ein kooperatives Werk des Neurobiologen Gerald Hüther, Professor an der
Universität Göttingen, und Kinderpsychiaters sowie Familientherapeuten Helmut Bonney aus Heidelberg.
Auf nur 146 Seiten (zuzügl. Bibliographie) wird den am »Grabenkampf« gegenüber stehenden Parteien ein fundiertes und plausibles Erklärungsmodell
vorgestellt, das sich an neuen Erkenntnissen der Hirnforschung orientiert und zugleich die Möglichkeiten familientherapeutischer Arbeit erörtert.
Demnach handelt es sich bei der etablierten Behandlungsmethode durch Medikamentenverordnung um einen Trugschluss fehlinterpretierter Symptome,
welche in ihrer Teufelskreiswirkung an die Schreien-Blähungs-Koliken-Schreien-Spirale erinnern. Das neue Modell macht sogleich Mut, die »Störung« als Herausforderung zu begreifen und sich mit aller
elterlichen Kompetenz der besonderen »Begabung« ihres empfindsamen, wachen Kindes zu widmen, ohne an lebenslänglich medikamentöse Behandlungspläne gefesselt zu sein:
»Dieses Modell geht davon aus, dass es Kinder gibt, die bereits als Neugeborene und während ihrer Kleinkindphase erheblich wacher, aufgeweckter,
neugieriger und leichter stimulierbar, oder einfach nur empfindlicher, „dünnhäutiger“ und „unruhiger“ sind als andere.« (S. 69)
Eine vermutete Stoffwechselstörung als Folge eines Mangels an Dopamin, dem Botenstoff, der im Gehirn zwischen den Nervenzellen für die
Weiterleitung aufgenommener Reize sorgt, wird mit Hilfe neuer Sichtweisen und Erkenntnisse in einem größeren Zusammenhang untersucht. Wer den Darstellungen der Autoren aufgeschlossen und unvoreingenommen
folgt, mag der verbreiteten kritiklosen Verabreichung stimulierender Medikamente kaum mehr seine zweifellose Zustimmung schenken. Vielmehr eröffnet die neue Sichtweise ein weites Feld an Möglichkeiten
konstruktiver Förderungsmaßnahmen.
An Hand von leicht nachvollziehbaren Fallbeispielen, in denen sich Betroffene in mancher Hinsicht wieder finden können, wird dem anfänglich in die
Welt gesetzten „bösen Krankheitsbild“ seine destruktive Macht genommen, stellt sich die Problematik nun als durchaus mit alltäglichen Mitteln lösbare Aufgabe dar, in der Eltern fähig sind, ihr
besonderes Kind auf besondere Weise in sein Leben zu begleiten. Um diesen von der Norm abweichenden Gegebenheiten gerecht zu werden und anfänglich unüberwindbar scheinende Hürden aus dem Weg zu räumen,
ist die Inanspruchnahme einer familientherapeutischen Behandlung eine sinnvolle und begrüßenswerte Maßnahme zur langfristigen Beruhigung aller am Betreuungs- und Erziehungssystem beteiligten Personen.
Spannend und in jedem Fall hoffnungsvoll gestaltet sich die Beschreibung der Entwicklung des menschlichen Gehirns, auf die wir Menschen weitaus
mehr Einfluss haben als häufig angenommen:
»Jahrzehntelang war man davon ausgegangen, dass die während der Hirnentwicklung ausgebildeten, neuronalen Verschaltungen und synaptischen
Verbindungen unveränderlich seien. Heute weiß man, dass das Gehirn zeitlebens zur adaptiven Modifikation und Reorganisation seiner einmal angelegten Nervenzellverschaltungen befähigt ist und dass die
Herausbildung und Festigung dieser Verschaltungen ganz entscheidend davon abhängt, wie und wofür wir unser Gehirn benutzen.« (S. 25)
Demzufolge kann die Verabreichung stimulierender Medikamente zu einer Verfestigung ungenügend entwickelter Hirnfunktionen führen. Wer dagegen
bereit ist, sich in vielfältiger Hinsicht kreativ und auch experimentell in seinem Verhaltensrepertoire zu erweitern, das Familienleben an den ungewöhnlichen Anforderungen auszusteuern und übernommene
erzieherische Vorstellungen zu hinterfragen, darf durchaus auf positive Überraschungen in der Entwicklung seines Kindes gespannt sein, um nicht selten auf gleichem Wege lang gehegte
Kreativitäts-Blockaden im eigenen Denk- und Seelenhaushalt zu lösen.
Jutta Riedel-Henck, 2. Oktober 2003
Weiterführende Links
Die Strukturierung des kindlichen Gehirns durch Erziehung und Sozialisation Leseprobe aus »Neues vom Zappelphilipp« von Gerald Hüther u. Helmut Bonney
Systemisches Seminar Heidelberg
Dr. med. Helmut Bonney, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Kinderheilkunde
ADHS und Ritalin
Kritische Anmerkungen von Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil. Gerald Hüther
Filter fürs Gehirn: Der sprunghafte Anstieg des Psychopharmakas Ritalin bei Kindern muss kritisch überprüft werden
Deutschlandfunk Sprechstunde vom 7.5.2002
Mehr als Ritalin-Kritik von Axel Föller-Mancini
ADS-Kritik Dipl.-Psych. Hans-Reinhard Schmidt bitte nicht verwechseln mit der Homepage Ritalin-Kritik
Neuerscheinung
Helmut Bonney
Kinder und Jugendliche in der
familientherapeutischen Praxis
176 Seiten, kartoniert € 19,95 Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg September 2003 ISBN 3-89670-418-4
siehe dazu auch Rezension von Jutta Riedel-Henck
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Michael Passolt (Hg.)
Hyperaktivität zwischen Psychoanalyse, Neurobiologie und Systemtheorie
192 Seiten, kartoniert € 19,90
München, Basel: Reinhardt 2. Aufl. 2004 ISBN 3-497-01730-2
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Dieses in zweiter korrigierter Auflage erschienene Buch thematisiert »Hyperaktivität« aus unterschiedlichen Perspektiven und wurde um einen Beitrag
zur Neurobiologie von Gerald Hüther erweitert.
Aus dem Vorwort des Herausgebers Michael Passolt:
»Die Autoren versuchen aus ihrer je unterschiedlichen Sichtweise sich dem Phänomen zu nähern, dabei nicht ihren Ansatz als wahr hinzustellen,
sondern in Wertschätzung anderer Meinungen ihren Beitrag als ein Hinzufügen von Möglichkeiten des Verstehens von „Hyperaktivität“ zu begreifen. Hierbei geht es weniger um ein Diagnostizieren
oder Abgrenzen, sondern um das Angebot, mit den Stärken des Kindes Neues zu ermöglichen. Das Navigieren des Kindes als seine Antwort auf die gesellschaftliche Realität zu begreifen. […] In
den Fragen und Erklärungsversuchen wird eine Vorgehensweise geschaffen, die Vielfalt, das Mosaik von Persönlichkeit und Subjektentwicklung unter den unterschiedlichsten Entwicklungsbedingungen,
verstehbar zu machen.« (S. 10)
Ein populärwissenschaftlicher Ratgeber für Eltern ist dieses Buch nicht. Es bedarf mancher Fach-Kenntnisse zum Verständnis der teilweise
hochtheoretischen Ausführungen, die durch Fallbeispiele in die Realität zurückfinden und für den Leser nachvollziehbar werden.
Es scheint, als sei zunächst eine vollkommen neue Weltanschauung von Nöten, um sich der Problematik hyperaktiver und aufmerksamkeitsgestörter
Kinder auf eine Weise zu widmen, die in ihrer Verhaltensauffälligkeit eine sinnvolle Antwort auf umweltbedingte Einflüsse in sozialen Systemen sieht. »Hyperaktivität« ist demnach keine Krankheit, die
sich bekämpfen ließe, sondern eine Reaktion individuell zu entschlüsselnder Unstimmigkeiten, welche sich auf dem Hintergrund familiärer Zusammenhänge zu verfestigen drohen und nach unkonventionellen
Lösungen verlangen.
Die hochkomplexen Ausführungen mit wenigen Zeilen zusammenfassend zu reflektieren, ist mir mangels tieferer Einsichtigen in die spezifischen
Therapieformen und ihrer Hintergründe kaum gegeben. Wohl aber, diese zum Weiterdenken anregende Sammlung verantwortungsbewusst vorgetragener Texte als Lektüre zu empfehlen für all jene, die beruflich auf
der Suche sind nach neuen Möglichkeiten oder auch Bestätigungen eigener Erfahrungen und Sichtweisen im Umgang mit Kindern, die mit dem Kopf durch verschlossene Türe laufen, obwohl sie im Besitz eines
Schlüssels sind.
Jutta Riedel-Henck, 28. August 2004
Inhalt
D. Mattner: Hyperaktivität aus der Sicht der Heilpädagogischen Anthropologie
M. Passolt: Im Dialog mit hyperaktiven Kindern. Psychomotorische Therapie im Netzwerk von Alltag, Familie, Schule und
Gesellschaft
M. Gerspach: Hyperaktivität aus der Sicht der Psychoanalytischen Pädagogik
M. Günter: Körperbild, Identität und Objektbeziehungen – Das Bild des eigenen Körpers als Beziehungsangebot
J. Stork / W. Hüttl / A.-L. Thaler: Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung – Syndrom oder Symptom?
Erfahrungen aus der psychoanalytischen Arbeit mit HKS-Kindern und ihren Familien
H. von Lüpke: Hyperaktivität zwischen »Stoffwechselstörung« und Psychodynamik
A. Wölfl: Rhythmische Strukturen in Entwicklungsprozessen
R. Balgo / R. Klaes: Über die Koordination von Verschiedenheit. »Hyperaktivität« als Problem und Bewegungstherapie als
lösungsorientiertes Angebot. Eine systemische Perspektive
G. Hüther: Die nutzungsabhängige Herausbildung hirnorganischer Veränderungen bei Hyperaktivität und
Aufmerksamkeitsstörungen: Einfluss präventiver Maßnahmen und therapeutischer Interventionen
Weiterführende Links
http://www.reinhardt-verlag.de
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Kurt Mosetter / Reiner Mosetter
Die neue ADHS-Therapie Den Körper entstressen Ein Übungsbuch
155 Seiten, kartoniert € 14,90
Walter, Düsseldorf u. Zürich September 2005 ISBN 3-530-40178-1
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Die von Kurt und Reiner Mosetter vorgestellte »neue ADHS-Therapie« bewegt sich zwischen medikamentösen und psychologisch orientierten Therapien. Im Mittelpunkt steht der Körper als »grundlegender Referenzpunkt und Zentrum unserer Konzentration«:
»Über unseren Körper können wir unsere Unaufmerksamkeit in ein zielgerichtetes und aufmerksames Handeln umwandeln. Auch unkontrollierte
Hyperaktivität und Impulsivität wird durch unseren Körper begründet; aus unserem Körper heraus wird die Unruhe gespeist. Umgekehrt kann über den Körper eine Ent-stressung erreicht werden.« (S. 10)
Teil 1 des Buches widmet sich einer Beschreibung von Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität, ihren Grundmerkmalen, möglichen Ursachen und
Einflüssen sowie der offiziellen Bestimmung und Einordnung von ADHS.
In Teil 2 wird der Körper als Zentrum und Schnittpunkt thematisiert und die Komplexität des Störungsbildes mit Hilfe eines Gitternetzes
veranschaulicht.
Der Myoreflextherapie (Neuromuskuläre Tiefenentspannung) und KiD-Übungen (Kraft in der Dehnung) ist der 3. Teil gewidmet:
»Diese Methode zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie im Hinblick auf Störungen wie ADHS eine andere, komplementäre Ebene als
Ausgangspunkt nimmt. Komplementär in dem Sinne, als der Körper als Ausdruck und Träger der ADHS-Symptome verstanden wird. Sie setzt also nicht im „schulischen“, psychologischen, sozialen
Bereich […] und auch nicht im nur stofflichen Bereich […] an, sondern vielmehr dazwischen – im körperlichen bzw. neuromuskulären Bereich.« (S. 58)
Wirklich zur Praxis kommt es erst im 4. Teil. Mit Hilfe von Fotos werden konkrete und im Alltag leicht umzusetzende Übungen vorgestellt.
Mit Hinweisen und Tipps zu unterschiedlichen Trainings- und Therapiekonzepten beschließt der 5. Teil das kompakte Werk, welches mit seinem
Untertitel »Übungsbuch« ein wenig in die Irre leitet, überwiegen doch die theoretischen Grundlagenerläuterungen in hohem Maße. Wer sich mit dieser sinnvollen neuen Methode eingehend befassen möchte,
sollte das Buch vielleicht häufiger lesen und als Ergänzung »Kraft in der Dehnung: Ein Praxisbuch bei Stress, Dauerbelastung und Trauma« derselben Autoren hinzuziehen.
Jutta Riedel-Henck, 19. Dezember 2005
Weiterführende Links
Patmos-Verlag, weitere Infos zu Die neue ADHS-Therapie
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© 2012 by J. Riedel-Henck
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