»Zu jedem Topf passt ein Deckel« heißt eine plumpe Umschreibung von Partnerschaft. Mich hat dieses Bild schon immer gestört, impliziert es doch
eine der Beziehung vorausgehende Produktion formbeständiger Gebrauchsgegenstände, gefolgt von der Frage, wer den Part des Topfes bzw. Deckels übernimmt.
Vielleicht ist der Brauch, am Tag vor der Hochzeit, dem Polterabend, Porzellan-Geschirr zu zertrümmern, ein Wink des Lebendigen, das sich von
überholten Vorstellungen zu befreien sucht. Prickelnde Erotik zwischen Topf und Deckel – ob emailliert, gusseisern oder teflonbeschichtet – die wahre Freude vermag dieses Bild kaum zu
vermitteln. Hausfrau am Herd, Mann am Tisch, Suppe im Topf, Deckel drauf, fertig ist das alte Rollenklischee aus dem letzten Jahrhundert, das noch immer in unseren Köpfen schmort, als fielen wir wie
reife Plastik-Äpfel vom Himmel und hätten nichts besseres zu tun, als marionettenhaft unser tristes Dasein zu fristen.
So sehr wir auch lächeln über alte Geschichten, da der Klapperstorch die Babys brachte – so nachhaltig wirkt die Anschauung, dass Körper und
Seele unabhängig voneinander existieren, um mit der Geburt zusammengefügt und im Tod voneinander getrennt zu werden.
Dass die Beziehung zu einem geliebten Menschen nicht mit dessen Tod endet, spürt im Grunde seines Herzens auch der aufgeklärteste
Naturwissenschaftler, ist er persönlich betroffen. Und welche Mutter, welcher Vater erinnert sich nicht lebenslang an den ersten tiefen Blick ihres neugeborenen Kindes, dessen weise Ausstrahlung ein
zauberhaftes Geheimnis erahnen ließ?
Gerald Hüther, vielfacher Autor und Professor für Neurobiologie an der Universität Göttingen, und die Psychologin Inge Krens widmen sich in ihrem neuen Buch der Entwicklungsgeschichte des Embryos und seiner Lebenswelt:
»Gerade die vorgeburtliche Entwicklung lehrt uns, dass Körper und Psyche untrennbar miteinander verbunden sind. Ob es sich nun um die
befruchtete Eizelle handelt, um den Embryo oder das geburtsreife Kind, immer geht es um ein Lebewesen, das sowohl körperliche als auch psychische Komponenten in sich vereinigt. Ein menschlicher
Organismus entsteht nicht dadurch, dass Zellen zunächst einen Körper bilden, zu dem später irgendwann einmal die Seele hinzukommt. In dem Maß, wie sich der Körper im Verlauf der pränatalen
Entwicklung immer weiter ausdifferenziert, entfaltet sich gleichzeitig und untrennbar damit auch die Psyche des ungeborenen Kindes.« (S. 36)
Das ungeborene Kind gedeiht in Beziehung zu seiner Mutter, seinem Vater, eingebettet in einem sozialen Netz von lebendigen Begegnungen,
Abhängigkeiten und daraus resultierenden Einflüssen.
»Die „erste Beziehung“ zwischen Mutter und Kind ist die intensivste Beziehung, die wir jemals hatten, und die wir jemals haben werden
– aufs Engste verbunden mit dem mütterlichen Organismus, total abhängig davon, dass dieser uns nährt und schützt und Umstände zur Verfügung stellt, die wir zum (Über-) Leben brauchen.« (S. 95)
Warum sind diese Vorstellungen keine Selbstverständlichkeit, fragte ich mich beim Lesen des Buches. Spürt nicht jeder wache Mensch eine stets in
Wandlung begriffene Entwicklung des eigenen Wesens, um den Zeitpunkt des Beginns seines Lebens vergeblich zu suchen?
Gerald Hüther und Inge Krens schließen mit dem Satz:
»Deshalb gibt es, solange Kinder geboren werden, auch noch Hoffnung.«
Wer möchte dem widersprechen? Ich – ein klein wenig zumindest. Hoffnung darf es nicht erst geben, wenn Kinder gezeugt wurden in der Vorfreude
auf ihre Geburt. Das Wunder des Lebens in jedem Moment, ob jung oder alt, Mensch, Tier oder Pflanze, Mutter, Vater oder kinderlos, ist Grund genug, die Hoffnung nicht zu verlieren.
Jutta Riedel-Henck, 22. März 2005
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