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Rezension 7
Therapie, Forschung

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KraeuterSchreiverhalten02

Antje Kräuter

Das Schrei- und Schlafverhalten im ersten Lebensjahr bei Kindern mit hyperkinetischem Syndrom
Retrospektive Untersuchung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe
132 S., kartoniert
€ 27,50
Peter Lang, 2004
ISBN 3-631-52127-8

Im Mittelpunkt dieser Studie steht die Auswertung einer Befragung von Eltern, deren sechs- bis neunjährige Kinder sich in einem »Integrativen Zentrum zur Förderung hyperkinetischer Kinder« zur Therapie befanden, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe.

Von den 46 durch die jeweiligen Therapeuten zugestellten Fragebögen wurden 35 anonym in einem geschlossenen Umschlag zurückgegeben, d. h. 76 %.

Für die Kontrollgruppe wurden aus fünf Grundschulen unterschiedlicher Stadtgebiete in einer ersten, zwei zweiten und zwei dritten Klassen die Fragebögen durch die Lehrerinnen verteilt und in geschlossenen Umschlägen wieder eingesammelt. Von 94 Bögen kamen nur 42 zurück, d. h. 45 %. 

Der retrospektive Fragebogen enthielt 49 meist geschlossene Fragen bezüglich des Schlaf- und Schreiverhaltens im ersten Lebensjahr, ihrer Betreuung, motorischen Aktivität, Interaktion zwischen Baby und Bezugsperson, einigen Eigenheiten des Kindes sowie prä-, peri- und postnataler Ereignisse.

Ziel der Studie war die Überprüfung der Hypothese, »dass unter den hyperaktiven Kindern deutlich mehr bereits in ihrer Babyzeit durch Schlaf- und Schreistörungen auffielen als in der Kontrollgruppe.« (S. 22)

Aus dem Ergebnis der Fragebögen-Auswertungen geht hervor, dass 54 % der Eltern aus der Gruppe hyperaktiver Kinder ein auffälliges Schrei- und Schlafverhalten in ihrer Babyzeit erinnerten entgegen 2 % in der Kontrollgruppe.

Die Autorin bemerkt, dass dieser niedrige Anteil »von den in der Literatur festgestellten Prävalenzen von 10 bis 30 % „Schreikindern“ erheblich« abweicht, welches nicht durch ein methodisches Problem verursacht worden sei (S. 69), gefolgt von dem kritischen Einwand, »dass es Unterschiede im Rücklauf der Studien gibt […], was unter Umständen auch auf eine gewisse Auslese in der Kontrollgruppe hindeutet. Hier antworteten möglicherweise nur die engagierten Eltern. Eltern, die sich für eine Therapie am IZH entschieden haben, sollten aber als ebenso engagiert für ihre Kinder gelten, weil sie dort aktiv mitarbeiten müssen.« (S. 70)

Denkbar wäre aus meiner Sicht auch, dass sich unter jenen 55 % der Eltern aus den Grundschulklassen, die sich der Fragebogen-Aktion enthielten, solche sammelten, die sich ungern an die für sie besonders leidvolle Babyzeit erinnerten, aus denen evtl. ungelöste Schuldgefühle bis in die Gegenwart reichten, um durch Teilnahmeverweigerung eine Wiedererweckung alter Wunden zu vermeiden. Diese Beobachtung ist mir aus eigener Erfahrung vertraut sowie durch Berichte betroffener Eltern, die auf der Suche nach ehemaligen Leidensgenossen auffallend wenig Resonanz fanden. Während die Eltern der hyperaktiven Kinder ihr Engagement bereits durch die Inanspruchnahme der Therapie-Einrichtung offenbaren und die Fragebogen-Bearbeitung als Teil ihrer ohnehin akzeptierten Auseinandersetzung mit ihren Kindern zu integrieren vermögen, könnten die Eltern problematischer Babys aus der Kontrollgruppe diese Fragebogen-Aktion eher als Bedrohung empfunden haben in dem Glauben, die Schrei- und Schlafprobleme seien Ergebnis elterlicher Erziehungsfehler, um sich dieser zu schämen. Der »Vorzeigeeffekt« sowie eine Art Wettbewerbs-Haltung unter Eltern sollte meiner Meinung nach auch bei anonymer Auswertung nicht unterschätzt werden.

Wie dem auch sei, deutlich geht aus dieser Untersuchung hervor, dass hyperaktive Kinder zu einem auffällig großen Teil bereits im Säuglingsalter unter Schlaf- und Schreiproblemen litten, deren frühzeitige Behandlung durch ausgebildete Berater/innen in jedem Fall zu empfehlen ist.

 

    »Wenn die Eltern mit „anspruchsvollen“ – weil vielleicht besonders reizbaren Babys überfordert sind, benötigen sie das Verständnis und die volle Unterstützung der Gesellschaft, was sich in Form von Haushalts- und Nachbarschaftshilfe bis hin zu psychologischer Betreuung als selbstverständlich in den nächsten Jahr(zehnte)n herausbilden sollte.«
    (S. 97)

 

Auch konkrete Empfehlungen für die frühe Kindheit und die Betreuung von Babys gibt die Autorin im Nachwort ihrer Studie. Neben dem eindeutigen Rat, dass Babyschreien beantwortet werden müsse, finden sich ebenso nützliche wie kritische Hinweise bezüglich häufig propagierter Schlafprogramme. Das so genannte Familienbett verliert sein »negatives Image«, die bindungs- und gesundheitsfördernde Bedeutung einer stressfreien Geburt sowie des Langzeit-Stillens wird ebenso erwähnt wie die Wirkung des Tragens auf eine Reduzierung des Babyschreiens.

Den Anhang dieser angenehm kurz und prägnant verfassten Studie bildet ein ausführliches und hilfreiches Literatur-Verzeichnis sowie der in dieser Untersuchung an die Eltern verteilte Fragebogen.

Jutta Riedel-Henck, 11. September 2004

 

 

Die Autorin:

Antje Kräuter, Mutter von drei Kindern, Stillberaterin, Babymassage-Kursleiterin und Dipl. Psychologin, seit 16 Jahren intensive Beschäftigung mit dem Studium der frühen Kindheit sowie reichhaltige praktische Erfahrung in der Mütterberatung.
Ihr Angebot umfasst Vorträge und Kurse für werdende Eltern und Angehörige sowie Einzel- und Gruppensprechstunden zu folgenden Themen: Regulationsschwierigkeiten wie Schreien, Koliken und Schlafstörungen bei Babys, Erziehungsschwierigkeiten und Schlafstörungen bei Kleinkindern, Entspannung für gestresste Mütter und Schwangere, Tragen, Stillen und mehr.

Kontaktadresse:
Antje Kräuter
Gartenstadt 12
09128 Chemnitz
Tel. und Fax: (03 71) 77 25 51
E-Mail: antje.kraeuter@t-online.de

 

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