Nach wie vor empfinden viele Menschen ihre seelischen Probleme als Makel, den es zu verstecken gilt. Zählen medizinische Vorsorgeuntersuchungen im
Kindesalter schon zum Pflichtprogramm verantwortungsbewusster Eltern, erfährt die seelische Gesundheit kaum Beachtung. Eltern, deren Tochter oder Sohn in Kindergarten oder Grundschule ins Visier
aufmerksamer Pädagogen geraten, weil sie durch ihr Verhalten aus dem Rahmen fallen, anecken oder aggressiv um sich schlagen, erleben sich häufig als Versager. Während sie bei einer Mittelohrentzündung
ohne Umwege den Arzt aufsuchen und sich mit anderen Eltern darüber austauschen, wird die Hinzuziehung psychologisch geschulter Experten nur zögerlich in Betracht gezogen. Probleme, die sich in ihren
Anfängen leichter lösen ließen, verfestigen sich, prägen die sozialen Erfahrungen der Betroffenen bis hin zum Glauben, sie hätten einen angeborenen »schwierigen« Charakter.
Christiane Erner-Schwab, analytische Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche am Institut für Psychotherapie in Berlin, bietet Eltern
und anderen Erziehenden Orientierungshilfen auf der Suche nach geeigneten Therapien für Kinder und Familien. Mit angenehm einfachen Worten erläutert sie Grundbegriffe der Psychologie, ohne den Leser mit
theoretischen Informationen zu überfrachten. Besonders sympathisch und praxisnah gestaltet sich die fiktive Geschichte der etwa achtjährigen Luisa, »bei der ein so genanntes „Aufmerksamkeits-Defizit- und
Hyperaktivitätssyndrom“ diagnostiziert wird. An diesem Beispiel zeigt die Autorin, wie eine (analytische) Kindertherapie abläuft, worauf geachtet werden muss und wie Stolpersteine aus dem Weg
geräumt werden können« (Buchrückseite).
»Das Buch informiert auch über andere seelische Störungen bei Kindern und Jugendlichen und über unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten wie
Familientherapie, Verhaltenstherapie oder Traumabehandlung mit entsprechenden Fachadressen im ganzen deutschsprachigen Raum. Vor allem aber will dieser Ratgeber Eltern und andere Erziehende
ermutigen, bei seelischen Problemen eines Kindes das Potenzial einer Psychotherapie zu nutzen.« (ebd.)
Erwähnung findet neben der Musiktherapie auch die Eltern-Säuglingstherapie mit einem Hinweis zu Schrei- und Babyambulanzen:
»Das Bestechende an dieser frühen therapeutischen Intervention besteht im Unterschied zur Kinder- oder Erwachsenentherapie sicher darin, dass
oft schon wenige Sitzungen ausreichen, um die Kommunikation zwischen Eltern und Säuglingen auf eine andere Schiene zu bringen und die Symptomatik günstig zu beeinflussen.« (S. 128)
Eine wohltuende Lektüre, die Schwellenängste abbaut und das Selbstbewusstsein verunsicherter Eltern stärkt, indem diese ermutigt werden, eine ihren
Ansprüchen gemäße Wahl unter den Therapien bzw. Therapeuten und Therapeutinnen zu treffen.
Jutta Riedel-Henck, 27. November 2005
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