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Leandra

 

Mein Mann und ich haben uns 2006 kennen gelernt, 2007 die 1. Tochter bekommen und 2008 geheiratet.
Seit 2008 ist auch unser 2. Kind geplant gewesen.
Anfang 2010 mussten wir sie aber wieder auf Eis legen, weil unsere Lebensplanung sich stark geändert hatte.
Mitte 2010 ist sie dann aber doch entstanden. Sie hat sich während meiner erst kurz andauernden Arbeitslosigkeit nicht mehr ausbremsen lassen.
Leider ist sie in eine schwierige Zeit hinein geraten. Ihre Zukunft war nicht sicher und sie war immer ganz anders, als es Kira derzeit war.

Leandra war sehr ruhig.
Sie hat sich erst spät und dann auch sehr wenig bewegt, was den Beziehungsaufbau zueinander erschwerte.
Ich habe mich trotzdem nicht beirren lassen und auf den unnachahmlichen Geruch gesetzt, den ich seinerzeit schon nach Kiras Geburt aufgenommen und nie wieder vergessen habe.
Auch die Namenssuche hat uns wieder sehr euphorisch gestimmt und die Freude gegeben, die wir brauchten.

Leandra war am 8. April 2011 sehr schnell.
Kira hat 26 Stunden plus der obligatorischen Pausen gebraucht. Leandra hat letztendlich nur 13 Stunden gebraucht, um im Joseph Stift in Bremen zur Welt
zu kommen.
Insgesamt waren wir nur eine halbe Stunde im Kreißsaal, eine halbe Stunde vorher im Krankenhaus. Trotz dessen, dass ich es bis 4 Tage vor dem errechneten Termin geschafft habe, hat uns Leandras Ankommen doch sehr überrascht.

Am ersten Tag war Leandra noch sehr ruhig.
Am 2. Tag legte sie dann aber so richtig los. Zimmernachbarin und Schwestern waren schnell genervt, rieten mir immer öfter, ich solle die Kleine ins Kinderzimmer geben, weil sie eben dauerhaft schrie. Die Schwestern setzten das auch immer öfter durch, angeblich um mich zu schonen, und führten dadurch natürlich auch viele Trennungssituationen herbei.
Trotzdem wollte ich mich um mein Baby kümmern, weil nach der Geburt der erhoffte Geruch auch nicht übergesprungen ist. Ich fühlte mich fast verpflichtet,
mich um sie zu kümmern.
Eine Schwester habe ich sogar nur einmal in einer Nacht gesehen.
Sie hat danach einen Bogen um mich gemacht, nachdem sie gesehen hat, dass meine Tochter sich auch mit Drücken nicht zum Trinken oder zum Stillsein animieren ließ. Die hat wohl im Endeffekt gemerkt, dass sie uns beide mehr aufgeregt hat als uns zu helfen. Unser beider Tränen haben wohl auch ihr übriges getan.
Trotzdem war ich mit der Leistung des Joseph-Stift, was sich nicht als direkte
Hilfe-Klinik für Diabetes-Mütter ausweist, viel mehr zufrieden als derzeit mit der Leistung des Klinikum Nord.
Sie haben mich besser beraten und mehr betreut, als es Bremen Nord getan hat.

Zuhause wurde es mit Leandra nicht besser.
Ich war in den ersten Wochen gerade abends viel allein, weil mein Mann ein Engagement an einem Amateurtheater angenommen hatte. Gleichzeitig hat er nach langer Arbeitslosigkeit wenige Tage nach Leandras Geburt wieder angefangen zu arbeiten. Das war eine weitere Umstellung, die alle Familienmitglieder zu verkraften hatten.
Die Kleine schrie derweil ihre 3 Stunden am Stück, was, wie ich hinterher festgestellt habe, noch unteres Kaliber ist. Vom dauerhaften Schreien der Kleinen hat mein Mann nur mitgekriegt, weil ich immer fertiger war.
Wir haben dann nach ein paar Wochen das Stillen, was Leandra Tag wie Nacht
alle 2 Stunden verlangte, einmal am Tag auf eine Flasche fertige Milch umgestellt. Das hat das Kind zwar abends ein bisschen mehr schlafen lassen, mir aber nicht
viel geholfen.
Nach 3 Monaten musste ich krankheitsbedingt ganz abstillen. Leandra ließ
sich toll ganz auf Flasche umstellen und hat zunächst damit auch die Nächte durchgeschlafen. Doch die Probleme blieben.
Sie hat erst spät den Schnuller festhalten können, eine super-schnelle Entwicklung im motorischen und sprachlichen Bereich durchgemacht, den Kinderwagen gehasst und körperliche Nähe fast immer abgelehnt, aber gleichzeitig auch danach verlangt.
Das Schlafen wurde nur kurzzeitig besser. Sie hat immer wenig geschlafen, eine Stunde zum Einschlafen gebraucht und war oftmals 20 Minuten später wieder halbwegs fit, aber quakig.
Nachts suchte sie ständig ihren Schnuller, wachte jede Stunde einmal auf, wenn sie sein Fehlen bemerkte, und schlief wieder ein, wenn man ihn ihr wieder reinsteckte.
Das Kinderwagenfahren haben wir ihr mühsam antrainiert, indem wir sie Tag und Nacht in den ersten 5 Monaten darin haben schlafen lassen. Wir durften das Ding nur in der ersten Zeit nicht bewegen.
Danach haben wir mit langsamen und kurzen Intervallen angefangen und haben irgendwann gewonnen, so dass es heutzutage kein Problem mehr darstellt, sie im Kinderwagen auszufahren und auch darin zum Schlafen zu bringen.


Mit 5 Monaten mussten wir uns den nicht lösbaren Problemen irgendwann stellen und anerkennen, dass Leandra wohl doch ein Schreibaby ist. Geahnt hatten wir es vorher schon, es aber immer wieder verdrängt oder verleugnet.
Natürlich habe ich mich danach nicht verkrochen, sondern bin in die Offensive gegangen. Ich war immer sehr offen, habe mich dem Thema gestellt und versucht, Leandra und mir irgendwie zu helfen. Leider musste ich schnell feststellen, dass das gar nicht so einfach sein sollte.
Die meisten verlangten entweder viel Geld oder waren zu weit entfernt.
Das Höchste war ein Freundschaftspreis von 75 € – Fahrkosten – inklusive einer Stunde Beratung.
Musste ich ein Angebot ablehnen, bekam ich meist Blicke ab, die besagten, dass ich meinem Kind wohl nicht helfen wolle oder ich es mir wohl nicht gut genug überlegt hätte, weil ich hätte wissen müssen, dass ein Kind viel Geld kostet.
Auch der Kinderarzt hat eher abgelenkt, war stolz auf ihre tolle Entwicklung und
hat andere Sachen als Problem erkannt.
Als wir ihm gesagt haben, sie würde beim und nach dem Essen immer Panik
kriegen, meinte er, sie wäre zu dick und müsse weniger bekommen.
Das hat uns nicht geholfen. Wir sind dann zwischenzeitlich bei einer homöopathischen Kinderärztin gelandet, die uns wenigstens zugehört hat und Proben kostenlos gab. Aber die haben auch nichts geholfen, so dass wir danach wieder beim alten Kinderarzt gelandet sind.
Verwandte und Freunde hatten auch wenig Verständnis.
Die haben meist nicht kapiert, warum ich beim Arzt nach einer Diagnose suche, wenn ich es denn schon selbst weiß. Es hat niemand so weit gedacht, dass doch jeder erstmal nach einer Fachdiagnose sucht, um entsprechende Hilfeleistungen einleiten zu können.
Wir hatten leider im Endeffekt nicht genug Geld, um unserem Kind fachlich helfen
zu lassen, und sind mit ihr allein geblieben. Wir haben uns selbst geholfen.
Trotzdem weiß man da auch nicht alles sofort zu lösen. Manches geht auch nur
zu ertragen.

Ende Dezember besserte sich unsere Beziehung.
Zwischenzeitlich hatten wir auch Leandras Entwicklungsphasen als Verschlimmerung ausgemacht und gelernt, damit zu leben. Sie hatte immer ihre Schwierigkeiten, mit der Umwelt klar zu kommen, verhielt sich aber schlimmer, wenn sie mitten im Ausprobieren einer Entwicklungsstufe war. Das Erlernen und Erreichen der Stufe brachte immer etwas Besserung. 
Sie war in den ersten 8 Monaten so schlimm drauf, weil sie praktisch jeden Monat immer irgendetwas in der Mache hatte. Das Erreichen brachte immer nur kurze Erleichterung.
Leandra ist ein sehr aufmerksames und verschmustes Kind, auf das wir sehr aufpassen müssen.
Sie überfordert sich schnell selbst und muss gebremst werden.
Mit 5 ½ Monaten konnte die Maus bereits krabbeln, mit 8 ½ Monaten konnte
das Kind stehen, mit 10 ½ Monaten konnte Leandra laufen.
Sie möchte unheimlich viel entdecken und nimmt Spielzeug als kurzes Objekt der Begierde hin, was sie immer schnell erfasst und dann etwas Neues braucht.
Neue Entwicklungsstufen schocken sie oft so sehr, dass sie sich eine Zeit lang weigert, weiter zu probieren.

Wir können ihre Entwicklung nicht aufhalten, haben aber inzwischen gelernt, stolz auf sie zu sein, was sehr lange gedauert hat.
Alles andere zu bremsen, braucht ein bisschen Beobachtungsgabe. Aber die bringen wir nach all den Schwierigkeiten auch noch auf.

Nadine Gehlauf

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